Geschichten rund um den Bahnhof

Heimat- und Geschichtsverein erinnert an 150 Jahre Rodgaubahn

Noch ist es für den Heimat- und Geschichtsverein (HGV) Münster nicht möglich die Ortsgeschichte im Heimatmuseum lebendig werden zu lassen. Aber zum Glück gibt es die lokale Presse, die den rührigen Verein dabei unterstützt den Bürgerinnen und Bürgern Geschichte und Geschichten zu vermitteln.

Die Bahnstrecke, die die Münsterer nach Offenbach, Frankfurt und über Dieburg nach Darmstadt bringt, besteht seit 125 Jahren. Und genau so alt ist auch der Münsterer Bahnhof. Sicher könnte er viele Geschichten aus seiner langen Lebenszeit erzählen. Aber Steine können nicht reden. Deshalb will der HGV Geschichten aus der langen Eisenbahngeschichte weitergeben. Geschichten, die jemand selbst erlebt hat und auch Geschichten, die von den Eltern oder Großeltern weitergegeben wurden.

Der Bahnhof von Münster im Jahre 2021 Der Bahnhof von Münster im Jahre 2021

Die erste Bahngeschichte erzählt das HGV-Vorstandsmitglied Margarete Elster:

„Was bedeutete es wohl für die Dörfer an der Bahnlinie, als diese 1896 gebaut war und die ersten Züge fuhren?
Frankfurt, Offenbach, große Industriebetriebe, neue Arbeitgeber und damit Verdienstmöglichkeiten waren näher gerückt.

Wie oft hörte ich als kleines Mädchen zu, wenn alte Leute erzählten, dass sie in ihrer Jugend in Frankfurt arbeiteten und von Montag bis Freitag in der Stadt einen Schlafplatz hatten und samstags abends nach der Arbeit nach Münster marschierten, um montags in aller Herrgottsfrühe wieder den Weg zu ihren Arbeitsplätzen anzutreten.

Mit der Bahnlinie war diese schwierige anstrengende Zeit zu Ende. Und so waren die Züge auch schnell ausgelastet. Ja, Zugverbindungen und Arbeitsende in Betrieben wurden aneinander angepasst und in den Dörfern wusste man noch bis in die fünfziger – sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, mit welchem Zug die Arbeiter und Angestellten der verschiedenen Großbetriebe morgens und abends fuhren.

In Münster konnte man in der Bahnhofstraße und der Mainzer Straße nach Arbeitsende Scharen von Bahnfahrern vom Bahnhof kommen sehen. Sie alle waren am frühen Morgen, oft mit schnellem Schritt oder gar rennend dem Bahnhof zugeeilt, um ihren Zug zu erreichen.

Eine wichtige Funktion kam dem Stationsvorsteher und dem Bahnhofsgebäude zu. In meiner Erinnerung war der Bahnhof immer besetzt und man konnte Auskünfte über Zugverbindungen einholen, Fahrkarten, Wochen- und Monatskarten kaufen und es gab einen Warteraum, der im Winter mit einem großen Kohleofen beheizt wurde.

Wie oft musste ich als Kind sonntags morgens für meinen Vater zum Bahnhof gehen und die Wochenkarte kaufen. Meist stand dann eine Schlange vor dem Schalter und man musste warten, weil so viele Leute ihre Wochenkarten kauften.

Auch ich selbst habe noch Erfahrungen mit der Eisenbahn gemacht. Als ich im Schuldorf Bergstraße aufs Gymnasium ging, fuhr ich täglich mit der Bahn von Münster aus zur Schule. Ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr mit aufeinander angepassten Anschlüssen machte das möglich. Später war auch der Weg zur Universität nach Frankfurt nur möglich, weil es gute Zugverbindungen gab.

Aber gleichzeitig waren die sechziger - und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts auch die Zeit, in der die Bedeutung der Eisenbahn nachließ.

Das Auto, der Individualverkehr trat seinen Siegeszug an. Und die Züge wurden leerer, es war bequemer, mit dem eigenen Auto von zuhause aus loszufahren, ohne zum Bahnhof laufen zu müssen. Außerdem war man natürlich auch viel flexibler geworden, es konnten Fahrgemeinschaften gebildet werden, Arbeitszeiten mussten nicht mehr an Fahrplänen ausgerichtet werden.

Das hatte zur Folge, dass der öffentliche Verkehr ausgedünnt wurde, weil Züge mit wenigen Fahrgästen sich nicht rechneten.

Ein eigenes Erlebnis soll dies verdeutlichen. Natürlich hatten Schüler in den sechziger Jahren noch die Sechstagewoche, während in Betrieben schrittweise auf die Fünftagewoche umgestellt wurde. Deshalb galt samstags bald ein reduzierter Fahrplan. Für mich bedeutete das, dass ich tatsächlich nur einen Zug hatte, um in die Schule zu kommen. Als ich nun einmal an einem Samstag verschlafen hatte, bestand für mich keine Möglichkeit mehr, die Schule zu erreichen. Ich hatte mir ungewollt einen freien Tag verschafft."